Keine Angst vor großen und berühmten
Worten!
Die Interpretation eines Gedichtes ist viel einfacher, als es auf den
ersten Blick aussieht. Wer sich an ein paar Grundregeln hält
und ein wenig Gespür für den Text und den Autor
entwickelt, der wird schnell merken, dass es sogar Spaß
macht, sich in die Welt eines Gedichtes hinein zu versetzen.
Bei der Interpretation darf man sich der Freiheit der Kunst bedienen, denn es gibt mehrere, gleichwertige Interpretationsansätze, man darf sich also völlig frei eine Vorgehensweise aussuchen, die man selbst für sich als die Richtige erachtet. Damit ist schon der erste Schritt in Richtung Literatur getan, denn auch der zu interpretierende Dichter musste sich entscheiden für bestimmte formale Eigenschaften, der Struktur und des Inhalts für sein literarisches Kunstwerk.
Noch vor der eigentlichen Interpretation kommt das
sorgfältige Lesen des Gedichts. Lieber einmal zu viel als zu
wenig. In der Fachsprache heißt diese Vorgehensweise: das
Decodieren eines Gedichts. Denn wer in der Lage ist, die Sprache und
Intention sinnvoll zu entschlüsseln, der hat schon die halbe
Interpretation in Gedanken auf seinem Blatt stehen.
In dieser Phase ist es wichtig, auf eventuelle Mehrdeutigkeiten und
Ironiesignale im Text zu achten. Denn gerade diese Werkzeuge des
Dichters lassen auf den tiefen Sinn des Gedichtes schließen.
In der Einleitung der Interpretation muss der Dichter, sein Leben und
Werk berücksichtigt werden. Ebenso seine historische Epoche
und die Grundsätze der reinen Form des Gedichts, welche der
Autor gewählt hat.
Nun kommt die Aufgabe der rein formalen Überlegungen
über das Gedicht. Handelt es sich um eine feste Form, wie eine
Ode oder ein Sonett? Um welche Strophen- und Versform handelt es sich?
Wurde ein Reimschema benutzt? Wenn ja, welches: es könnte ein
Paarreim oder ein Kreuzreim o. Ä. sein. Auch die Reimart
sollte in der Gedichtsinterpretation erwähnt werden. Ob es
sich um doppelte, gespaltene oder geschüttelte Reime handelt. Dann kommt der wirklich spannende Teil der Interpretation: welche Stil-
und Ausdrucksmittel lassen sich in diesem Gedicht erkennen? Mit welchen
Bildern hat der Dichter jongliert?
Welche Gefühle ruft dieser Text im Leser hervor?
Überträgt der Dichter seine Haltung zum Inhalt auf
den Leser, indem er sehr distanziert oder sehr gefühlvoll
schreibt? Das wäre die vollendete Realisierung der Kunst, wenn
der Dichter es mit formalen und inhaltlichen Mitteln schafft, den Leser
in seinen Bann und seine Botschaft zu ziehen.
Um dieses Thema rankt die gesamte Interpretation: Das Ziel und die
Botschaft des Gedichts im Kontext seiner Formschemata und Stilmittel.
Wird die Form des Gedichtes vom Inhalt diktiert, oder liegt die
Konzentration des Autors eher auf dem Inhalt?
Wer mit Wissen und Hingabe an das Gedicht und den Autor die Substanz
eines Gedichts erkennt und beschreibt, der kann sich über die
gute Qualität seiner Interpretation eines Gedichtes sicher
sein. Also keine Scheu vor großer Literatur, Autoren wissen
es zu schätzen, wenn sich Menschen interessiert ihrem Werke
widmen!